Studenten der Bundeswehr besuchen Sarajevo, Srebrenica, Mostar
Sarajevo, 25. November 2018. Das erste Mal überhaupt besucht eine Gruppe von Offiziersanwärtern der Bundeswehr gemeinsam mit Studenten der Universität Sarajevo die Gedenkstätte für das Massaker in Srebrenica. Im Rahmen eines Seminars zur Kulturerbezerstörung der Universität der Bundeswehr München reisen wir nach Sarajevo, Srebrenica und Mostar. Ich habe die Ehre, das Seminar vor Ort zu leiten. Was uns besonders interessiert, ist der Zusammenhang von Kulturgutzerstörung und Völkermord.
Bei einem erfolgreichen Wissensaustausch gewinnen beide Seiten. Die Rollen von „Lehrern“ und „Schülern“ wechseln beständig. Einmal mehr bedauere ich, dass die Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit so oberflächlich wahrgenommen wird. Ich habe es mit 13 Studenten zu tun, der zweiten Exkursion dieser Art nach einem ersten Seminar im Februar dieses Jahres, die ausnahmslos ein hohes Verantwortungsbewusstsein, Interesse und eine Motivation auszeichnet, die ich bei „zivilen“ Studenten nur selten erlebe. Ich wünsche mir eine breite öffentliche Debatte zur Bundeswehr, die sich durch Tiefe und Qualität auszeichnet, nicht durch Sensationslust und die Schadenfreude an den vielen, zweifellos vorhandenen Unzulänglichkeiten. Wenn wir die Truppe nach Individuen betrachten, gelangen wir zu einem gänzlich anderen Bild. Als Institution mag die Bundeswehr oft Anlass zur Sorge geben. Die Soldat_Innen, denen ich in den letzten zwei Jahrzehnten begegnet bin, waren jedoch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alles „starke Typen“.
Gemeinsam entdecken wir Sarajevo und diskutieren wie man eine Stadt „liest“. Dabei stellen wir fest, dass das, was wir unter „Kultur“ verstehen eben nicht nur der positiven Identifikation dient. „Kultur“ umfasst nicht ausschließlich die Gegenstände, die unser Bestes repräsentieren, ist nicht lediglich ein Kanon unserer Stärken; ein großer Teil unseres kulturellen Erbes besteht vielmehr auch aus Konflikten; „Kultur“ markiert Konflikte, ist selbst Konflikt.
Zwei Zeitzeugen des Krieges in Bosnien-Herzegovina (1992-1995) treffen wir in Sarajevo und Srebrenica. Hasan Nuhanović und Hasan Hasanović haben ihre Familien durch das Massaker 1995 verloren. Die Auseinandersetzung mit individuellen Schicksalen ist immer schmerzhaft und emotional anstrengend. Nicht direkt betroffen zu sein rechtfertigt jedoch nicht die offensichtliche europäische Indifferenz gegenüber dem Westbalkan vor, während und nach dem Krieg.
In Mostar wiederum können wir nachvollziehen, wie ein offener Konflikt in kulturellen Gegenständen sublimiert wird. Mit dem Friedensschluss von Dayton 1995, der den Krieg in Bosnien und Herzegovina beendete, konnte Mostar als Stadt „wiederauferstehen“. Den Höhepunkt der Rekonstruktion der historischen Altstadt bildete zweifellos die feierliche Wiedereröffnung der im November 1993 zerstörten und bis 2004 rekonstruierten Stari Most. Hinter der Kulisse aus mit viel Mühe wieder hergestellten historischen Gebäuden und einer Vielzahl von Neubauten verbirgt sich jedoch ein schwelender Konflikt der verschiedenen Ethnien des Landes, der heuer wieder an Intensität zunimmt. Auch diese Konflikte gehören zum kulturellen Erbe der Region.
Zum Abschluss besuchen wir die Universität Sarajevo. Dort erklärt Adnan Rahimić das Profil der Universität, berichtet von seiner Kindheit im Krieg und seinem Engagement für die Nachkriegsgesellschaft in seiner Heimat. Mirela Mulalić Handan, die stellvertretenden Direktorin des Instituts für den Schutz Nationaler Monumente der Republik Bosnien und Herzegovina berichtet über die Zerstörung von Kulturerbe im Krieg 1992-1995 sowie Aufgaben und Herausforderungen der bosnischen Denkmalpflege bis heute.
An allen Stationen unserer Reise begegnet uns der elementare Konflikt zwischen individueller und institutioneller Verantwortung. Immer wieder stehen wir vor der Herausforderung, persönlich Verantwortung übernehmen zu müssen und diese nicht an Strukturen delegieren zu können. Das erfordert Kenntnisse und Courage. Beides ist nicht selbstverständlich. Bald verlässt uns der Mut, an anderer Stelle fehlen uns die Kenntnisse. Es waren immens lehrreiche Tage auch für mich. Ich bin den Kamerad_Innen sehr dankbar.